top of page
TR_Logo_weiss.png

BLOG

Herr Grau & Frieda Fröhlich

  • Toka-Lena Rusnok
  • 4. Feb. 2022
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 7. Mai

Binette Schröder

© 2021 NordSüd Verlag AG, Zürich/ Schweiz


ree

Klasse 1/2

Deutsch, Kunst

Besonderheit:

Goethes Faust für die Grundschule


Bevor am Ende Frieda Fröhlich mit Herrn Grau auf dem Lebensboot, ja, fröhlich dahinschippert, hat die rothaarige Malerin das Leben des grübelnden Bürokraten gehörig durcheinandergebracht.


Zack, zitronengelben Vogel gemalt, zack, rübergeflogen, zack, gemeinsam Tee getrunken, zack, Karneval, Schlittschuhlaufen und ein Kniefall auf dem vereisten See. Bei diesem Tempo hat Herr Grau sein Grübeln ganz vergessen und die ganze verdammte Theorie nicht aufgegeben, aber, so schlicht ist es eigentlich, in die Praxis umgesetzt.

Aber der Reihe nach. Den Auftakt macht Herr Grau, ein zugeknöpfter Dr. Faust, dem ein schweres Fragezeichen über dem Kopf schwebt. Und neben ihm trottet Tuffa, der treue Pudel, der, na klar, seinen Kern vor sich hinträgt. Und während Grau ein Steinchen nach Erkenntnis absucht, schiebt Frieda völlig unbeirrt eine Schubkarre vor sich her, auf dem Weg in ihren Garten. Das aber gefällt dem Hund nicht. Wütend kläfft er stellvertretend für Herrn Grau, denn:

„Wir sind gewohnt, dass die Menschen verhöhnen, / Was sie nicht verstehen, / Dass sie vor dem Guten und Schönen, / das ihnen oft beschwerlich ist, murren: / Will es der Hund wie sie beknurren?“ (Goethe: Faust I, Studierzimmer)

Damit beginnt die Geschichte. Herr Grau grübelt und tippt Dinge in sein Laptop. Tuffa und Pong, ehemals Kanarienvogel, wenden sich von so viel Lebensabgewandtheit ebenfalls ab. Überflüssig zu sagen, dass so ein Mensch von der fröhlichen Frieda, ​die ausgerechnet seine Nachbarin ist, überfordert ist: „Und dann auch noch Rosa, das Zwergschwein!“, stöhnt er, „dieser Anblick schmerzt mich!“ Alles zu viel also für den grauen Nörgler, dessen schlechte Laune an Frieda vorbeigeht. Schließlich ist sie nicht nur Gärtnerin, sondern auch Malerin. Und während das Glücksschwein Rosa gepflückte Äpfel bestaunt, vollendet Frieda ihr jüngstes Werk: Ein gelber Vogel auf einem Ast. Der wird so lebendig, dass er – namensgebend „ping!“ – aus dem Fenster hinausflattert. Und nicht nur das gesamte Atelier, sondern vor allem Herrn Graus Leben durcheinanderbringt.

Der reagiert auf den gelben Störenfried wie ein alter Schulrat: „Ruhe!! Aufhören! Setzen!!!“ Tut er aber nicht, der freche Vogel, im Gegenteil: er befreit den schon schwermütig gewordenen Pong aus dem Käfig und fliegt mit ihm davon. Denn, sind sie nicht beide ein- und derselbe? Herr Grau will vor all dem Leben fliehen und läuft Frieda in die Arme, die genau in diesem Moment vor seiner Tür steht. Zusammen mit Rosa, einer bunten Tasche mit Pinseln und Blumen, grünen Kugelohrringen, einem Blumenhut, den allerschönsten, grau-blauen-Augen der ganzen Welt, also, ach, mit all dem verrückten Kram, der Grau aus der Fassung bringt. Als Frieda dann noch ihre Sonnenbrille abnimmt, ist es um ihn geschehen. Stotternd bietet er ihr einen Tee an und das Schicksal nimmt seinen Lauf. Klar, wird Karneval gefeiert und Schlittschuh gelaufen und klar, Herr Grau ist nicht mehr grau, sondern bunt. Wer so etwas vollbringt, muss geheiratet werden. Und das tut Herr Grau und man kann sagen, dass das eine ziemlich gute Erkenntnis ist. Schließlich bringt Frieda doch das Beste in ihm zum Vorschein.

Zurück zum Faust, der durch Binette Schroeders Buch mäandert. Auch Herr Grau steht an seinem Laptop grübelnd auf der Schwelle: Soll er sich auf den dunklen Geist einlassen, der im Pudel wohnt, um endlich, ja endlich, zu leben? Wie Dr. Faust scheint er zum Schluss zu kommen:

„Auf einmal seh ich Rat / Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat –„ (Goethe: Faust I; Studierzimmer)

Herr Grau allerdings geht den letztlich destruktiven Pakt mit Mephisto nicht ein, sondern lässt sich mitnehmen von der Tat der umwerfenden Frieda. Und Tuffa und Rosa und Ping und Pong werden beste Freunde. Oder das, was sie schon immer waren? Die zwei Seiten einer Medaille? Die Maskerade zum Karneval haben Grau und Frieda dann gar nicht mehr nötig, er ist purer Spaß. Mit bunten Nasen und strahlenden Augen jagen sie übers Eis.

Ja, klar, der Mann ist in diesem Buch die Ratio, die Frau das Gefühl. Ein bisschen zu starr in den Rollenbildern? Vielleicht. Ein bisschen viel vielleicht auch, dass Frieda ihrem Grau unterm Baum kurz vor dem Ende den Apfel anbietet. Lass gut sein, möchte man ihr sagen, es ist doch alles wunderbar in eurem Lebensboot. Grau schippert glücklicherweise weiter – bis zum Schlussbild: Die Familie Grau-Fröhlich oder Fröhlich-Grau beim Ausflug: Das Baby im Kinderwagen, das Kleinkind mit Luftballon. Und die Äpfel liegen schön brav im Korb. Es liegt an uns, so könnte man Binette Schroeder verstehen, was wir daraus machen.

Die kunstvollen und gleichzeitig komplexen Bilder der Malerin Binette Schroeder laden aufgrund ihrer Vielschichtigkeit zu einem Einsatz in der Schule ein. Als Sprech- und Schreibanlass, zum Weiterspinnen und für das szenische Spiel. Als Thema für den Kunstunterricht. In jedem Fall ein wunderbares Buch, um sich über das Leben und seine möglichen Abzweigungen auszutauschen.

bottom of page